Jemal Tavadse

Blindenchor

In einem Vorort von Tbilissi, in einem verfallenen und weiter zerfallenden „Haus der Kultur“, welches seit Sowjetzeiten nicht mehr renoviert wurde und wo neben Wahlplakaten von Saakaschwili an den Wänden noch alte sowjetische Parolen hängen, die einem sagen, wie man zu leben hat – versammeln sich jeden Donnerstag zwei Chöre, ein Männerchor und ein Frauenchor, Überreste einer einstmals bekannten Sängertruppe. Auch früher, zu Sowjetzeiten, versammelte sich diese Sängertruppe in diesem Gebäude, das damals noch sauber war und von respekteinflössendem Aussehen. Die professionell ausgebildeten Sänger und Sängerinnen dieses Trupps litten alle unter Sehstörungen verschiedensten Grades, bis hin zu vollständiger Blindheit; und das Gebäude fungierte, eben, als Blinden-Kulturhaus. Ihr Repertoire war weit gespannt und umfaßte sowohl Werke der verschiedensten Komponisten vom Barokko bis in die heutige Zeit als auch Folklore.

Die heutigen beiden Chöre singen fast ausschließlich Folklore. Der Männerchor wie der Frauenchor besteht jeder aus zwölf bis fünfzehn Sängern und Sängerinnen; manche von ihnen gehörten bereits zu Sowjetzeiten, unter für den Chor günstigeren Bedingungen, dazu; und fast alle leiden unter den verschiedensten Sehstörungen bis hin zur vollständigen Blindheit.

Zu Sowjetzeiten wurde der Chor vom Staat finanziert; heute erhalten die Chormitglieder, die wegen ihrer Sehstörungen nicht arbeiten können – und selbst bei normal funktionierenden Augen ist es bei der heutigen verworrenen Situation nicht so einfach, Arbeit zu finden – eine Rente von monatlich 30 Lari (was dem Gegenwert von genau 60 Brotlaiben entspricht).

Übriggeblieben ist das professionelle Können, die Begeisterung und die Liebe zum Gesang; doch sonst gibt es nur noch kurze Treffen und Proben abseits allen sozialen Zusammenhangs in einem halbzerfallenen Klubhaus…

Zwei Videoaufzeichnungen mit Gesang findet man hier [Dateien „Blindenchor_Tbilisi“ (40,5 MB!) und „Blindenchor_Tbilisi_2“ (15 MB)]

Madona Kantaria (Mitte), Dirigentin des Frauenchors und Juri Mikaberidse (rechts), Dirigent des Männerchors 

 
 
 

Der Sänger Ansor Gogolaschwili (links), der seit mehreren Jahren mit dem Chor zusammenarbeitet

 

Jemal Tavadse

Home

 

eXTReMe Tracker